Das Aussterben des Stadtlebens

Mit der Corona-Krise hat sich das Geschäft mit dem Kunst- und Kulturleben in unseren Städten vollkommen geändert, sogar ist es vom Aussterben stark bedroht. Zuerst im April 2020 hat der „Hausarrest“ das Innenstadtleben vollständig lahmgelegt. Seit wir ein bisschen wieder frei „atmen“ können, haben die Einschränkungen in Zusammenhang mit den Corona-Vorschriften einen starken negativen Effekt auf die Besucher- und Teilnehmerzahl an Kunst- und Kulturveranstaltungen bewirkt.

Und jetzt hat unser Gesundheitsführer Herr Jens Spahn zusammen mit seiner Clique nie dagewesene Maßnahmen getroffen, die unser Zusammenleben und unsere Freiheitsrechte sehr stark einschränken, sogar mich an die Vergangenheit erinnern (1).

In Zusammenhang mit einer Existenzfrage ist es vollkommen legitim und auch logisch zu verstehen, dass die Kunst- und Kulturschaffenden nicht mehr wissen, ob sie in den nächsten Monaten von ihrem Arbeitgeber – in diesem Fall die Kunst- und Kulturstätten – weiterhin gebraucht werden oder nicht mehr. Dann bleibt nichts anderes als die Verzweiflung Mitten einer Krise, die an sich nie im Maß, wie wir sie miterleben, hätte stattfinden müssen.

Einerseits aufgrund der Zurückhaltung potenzieller Kundschaft wegen wirtschaftlicher Einschränkung – ja, das Geld ist nicht mehr so locker in der Brieftasche – befinden sich zahlreiche Kunst- und Kulturbetriebe in einer Notsituation und wissen manchmal nicht mehr, wie sie bis zum Monatsende über die Runde kommen können.

Und andererseits aufgrund eines erheblichen Eingriffes in unseren Persönlichkeitsrechten bzgl. der Verordnung zur Aufforderung zum Tragen eines Mund- und Nasenschutzes registrieren die Kunst- und Kultureinrichtungen eine starke Abnahme der Besucherzahl.

Weiterhin wegen Coronoïa ist das Nachtleben fast zum Stillstand gekommen. Egal für welches Publikum sind fast alle Bars, Kneipen inklusive Kulturkneipen, Discotheken und Großraumpartys zu oder wenn überhaupt nur bis 23 Uhr geöffnet.

Eine erhebliche finanzielle Katastrophe für die Inhaber, aber auch für die Mitarbeiter*innen – oft Stundenten*innen, denn meistens werden die Lokale in den späten Abendstunden besucht. Die irrsinnige Abstandsregel kommt noch hinzu und verursacht bei den Gästen, sobald sie ein Lokal betreten, ein mulmiges Bauchgefühl. Man fühlt sich nicht mehr „frei“, denn man wird permanent in einen Angstzustand versetzt. Das trägt überhaupt nicht zu einer angenehmen Sozialatmosphäre.

Egal wo man europaweit hinschaut, das Stadtleben stirbt aus. Jetzt schon allein in Deutschland befinden sich ca. 15,5 Millionen Haushalte in einer schwierigen finanziellen Lage und das ist 37 Prozent aller deutschen Haushalt (2).

Wenn der wöchentliche Lohn für Behinderte auf 141 Euro für eine Vollzeitstelle gekürzt wird, darf die Frage wohl gestellt werden: Warum wirft der Staat mit Milliardenhilfe für Konzerne wie Lufthansa, Continental, Bayer, Man usw. um? (3) Während dessen werden die Behinderte mit bis zu 50 Prozent Lohnkürzung abgespeist.

Die Pharmaindustrie wurde auch schon von den EU-Behörden reichlich beschenkt. Für insgesamt 2,7 Milliarden Euro sind Vorverträge ohne Transparenz zur Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen mit AstraZeneca, Sanofi-GSK sowie Johnson & Johnson abgeschlossen worden (4). Diese Milliardenhilfe kommt bei den Arbeitnehmern*innen nicht an, sondern wandert als Dividende sofort in der Tasche der Investoren. In einem Wort wird unser Steuergeld von Unten nach Oben umverteilt und während dessen schrecken die Konzerne nicht davor, ihre Belegschaft massenweise zu entlassen.

Während Konzerne vom Staat mit Spielgeld unterstützt werden, kommen die Kunst- und Kulturbetriebe zunehmend zum Erliegen. Egal wo man hinschaut, Theater ohne Vorstellungen, Museen fast ohne Besucher*innen und Kinos am Rande des Zusammenbruchs machen das Stadtbild zu einer geisterhaften Vorstellung aus. Bei einem Interview von MDR aus 29.10.2020 teilte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats Olaf Zimmermann mit, dass er so etwas noch nie gesehen hätte. Die Krönung bei der Sache ist, dass die Kulturstiftung des Bundes sich für die Misere nicht zuständig sieht. Im klaren Wort heißt das, dass man sich für die einzelnen Künstler*innen nicht zuständig fühlt. Insbesondere, selbstständige Künstler*innen, die auf Gagen angewiesen sind, sind bankrott.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat sich in einer Mitteilung hinter Kultureinrichtungen, Künstler und Künstlerinnen gestellt (5). Jetzt, mit der seit Anfang November verordneter neuer Schließung der Kunst- und Kulturstädte hat die Bundesregierung ein 10 Milliarden Euro Hilfepaket zugestimmt (6), aber die Ministerin sieht keine Notwendigkeit für eine Extrawurst für die Kunst- und Kulturschaffenden (7). Dennoch soll die politische Elite vor dem Auge nicht verlieren, dass mehr als eine Million Arbeitsstellen aus diesem Bereich stark bedroht sind.

Nach dem Motto „Ist das Kunst? Dann kann das weg!“ zeigen unsere Regierende ihre wahren Gesichter. „Veranstaltungen aller Art werden abgesagt. Ausgenommen sind verfassungsrechtlich geschützte Bereiche, wie beispielsweise Gottesdienste oder das Demonstrationsrecht.“ Das wurde auf der Website des Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege veröffentlicht. Unsere Regierende ist noch nicht mal eingefallen, dass es sich hier eindeutig um den Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) handelt.

Kunst- und Kulturveranstaltungen sind für die neoliberale getrimmter Politik nicht System relevant. Wenn man schon nicht weiß, wo die Bürger*innen sich mit dem „Schein“-Virus anstecken. Falls man irrsinnige Hygienekonzepte ins Leben ruft. Falls man die Bürger*innen mit Hausarrest droht, dann muss man sich unbedingt die Frage stellen, ob diese Maßnahmen pauschal noch mit dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) zu vereinbaren seien (8).

Eine kunst- und kulturlose Gesellschaft kann nicht leben und überleben. Ich bin sehr gespannt, wann die Zeit wiederkommt, an der Bücher verbrannt werden. Schöne neue Erinnerung.

Quellen:
(1) Spahn-Diktat auf Lebenszeit https://www.rationalgalerie.de/home/spahn-diktat-auf-lebenszeit
(2) Corona und die sozial-ökonomische Krise Telepolis https://www.heise.de/tp/features/Corona-und-die-sozial-oekonomische-Krise-4917369.html
(3) Trotz halber Milliarde Dividende und Kurzarbeit: MAN kündigt 2.300 Mitarbeiter in Steyr https://kontrast.at/man-stellenabbau-steyr-2020/,Continental will weiteres Werk schließen sowie https://www.tagesschau.de/wirtschaft/continental-sparkurs-103.html und Mobil gegen Schock und Autozulieferer Schaeffler kündigt Stellenstreichungen an und dürfte Zukäufe planen – IG Metall protestiert mit Aktionstag https://www.jungewelt.de/artikel/386454.arbeitsk%C3%A4mpfe-in-der-brd-mobil-gegen-schock.html
(4) Milliarden für Impfstoffe in den Sand gesetzt https://lostineu.eu/streit-um-eu-milliarden-fuer-impfstoffe-eskaliert/
(5) Corona-Krise: Wer hilft Kunst- und Kulturschaffenden? https://www.mdr.de/kultur/coronavirus-finanzielle-unterstuetzung-fuer-kunst-und-kultur-100.html
(6) Novemberhilfe der Bundesregierung ist ein 10 Mrd. Euro teurer Etikettenschwindel https://www.alarmstuferot.org/presse/PM%20AlarmstufeRot%20-%20Novemberprogramm.pdf
(7) Corona-Schließungen: Ministerin lehnt „Extrawürste“ für Kulturszene ab https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/corona-auswirkungen-kultur-nrw-pfeiffer-poensgen-100.html
(8) Ist das Kunst Dann kann das weg https://verfassungsblog.de/ist-das-kunst-dann-kann-das-weg/

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